Rotzipfelmützchen?
Eines Tages war wieder Märchenstunde. Der Kleine Mann hörte Märchen eigentlich gerne. Aber manchmal wurde ihm ein bisschen gruselig, wenn daran dachte, dass so etwas wirklich passieren könnte.
Nein, Kleiner Mann, Märchen sind doch nur etwas Ausgedachtes, das ist doch nicht wirklich passiert. „Aber wir denken uns doch auch allerhand aus!“, meinte er. Ja, das ist natürlich wahr, aber doch noch ganz anders. Die Erlebnisse des Kleinen Manns mit den Kindern, in der Familie, in der Schule waren doch fantastisch mit viel Fantasie und oft auch ein bisschen witzig. Man musste keine Angst haben vor schrecklichen Erlebnissen. Meistens gab es sogar etwas zu lachen. Und oft konnte man sogar etwas lernen dabei.
„Heute lesen wir das Märchen vom Rotkäppchen …“, fing die Mutter an.
„Aber heißt es nicht: Rotkäppchen und der böse Wolf?“, wollte der Kleine Mann wissen. „Ja, so heißt es, und nun höre mal gut zu!“
Schon nach den ersten Sätzen aus dem vorgelesenen Märchen meinte der Kleine Mann:
„Das Mädchen hieß Rotkäppchen, weil es ein rotes Käppchen auf dem Kopf hatte. Ich habe ja oft eine rote Zipfelmütze auf. Ich hieße dann vielleicht Rotzipfelmütze“, überlegte er.
„Oder Rotzipfelmützchen!“, neckte ihn da seine kleine Freundin. Na, Kleiner Mann, du musst ja nicht gleich selber in das Märchen hineinschlüpfen. Aber es ist fantastisch, dass du dir in deiner Phantasie etwas ausmalen kannst.
Als bei dem Märchen dann die Stelle gelesen wurde, wo der Wolf die Großmutter und dann auch noch das Rotkäppchen auffraß, war es zu viel für den Kleinen Mann. „Immer diese Fresser-Märchen!“, rief er. „Aber Kleiner Mann, es geht hinterher doch auch immer gut aus“, meinte die kleine Freundin. „Das ist mir egal, ich gehe jetzt nach nebenan zur Oma!“, entschloss sich jetzt der Kleine Mann.
„Oh, dann kannst du der Oma ja gleich etwas mitbringen“, fiel jetzt der Mutter ein und unterbrach das Vorlesen des Märchens. „Ich habe einen Kuchen gebacken und du kannst ihr ein Stück mitnehmen.“
Gesagt, getan. Der Kleine Mann nahm das Stück Kuchen und ging los. Die Oma wohnte ja dicht dabei, das war nicht schwer. Er klopfte an. „Herein!“, rief die Großmutter. Sie sah den Kleinen Mann erst gar nicht. Der war ja auch zu winzig und auf den Boden schaute die Großmutter nicht. Da sprang er auf den Tisch, legte das Stück Kuchen hin und sagte: „Hallo Oma, ich komme dich zu besuchen. Die anderen hören so ein blödes Märchen, wo Menschen verschluckt werden, sogar eine Oma, da will ich nicht mehr zuhören.“
Die Oma meinte: „Na, da hast du recht, Geschichten von verschluckten Omas mag ich auch nicht. Komm, wir essen mal das leckere Stück Kuchen auf. Daran werden wir uns nicht verschlucken. Vielen Dank, dass du es mitgebracht hast, wir teilen uns dieses gute Stück.“
Und so verbrachten die beiden eine schöne Zeit miteinander. „Großmutter, warum hast du denn eine so große Brille auf?“, fragte der Kleine Mann die Oma. „Damit ich dich besser sehen kann, du Kleiner Mann!“, meinte sie. „Meine Augen sind schwächer geworden, das ist so, wenn man älter wird. Und ich will doch die Kleinen nicht übersehen!“
Die beiden plauderten so allerhand miteinander. Der Kleine Mann hatte das Rotkäppchen-Märchen zwar nicht zu Ende gehört, aber er fand es bei der Oma viel schöner.
Hinterher kamen alle anderen auch in das Wohnzimmer der Großmutter und erzählten einander etwas. Die einen vom Märchen mit der Großmutter und der Kleine Mann von dem märchenhaft schönen und leckeren Nachmittag mit der Oma. „Wehe, ihr nennt mich noch mal Rotzipfelmützchen!“, warnte er.
Der kleine, kleine Kleine Mann, was der, was der nicht alles kann …