Verschlafen! 

Eines Tages hatte der Kleine Mann sich vorgenommen, am nächsten Morgen ganz früh aufzustehen, um seine kleine Freundin und die Familie zu besuchen. Er hatte einen richtigen Plan! Er wollte frühmorgens an der Tür klingeln und rufen: „Aufstehen ihr Langschläfer! Gibt es hier auch ein Frühstück?“

 

Er stellte sich schon vor, wie die Mutter ganz verschlafen im Morgenmantel an die Tür kommen und dann fragen würde:                   

„Wer ist denn hier schon so früh an der Tür!“

Dann würde er rufen: „Ich bin es, der Kleine Mann! So, jetzt mal alle raus aus den Federn, ihr ‚Den-ganzen-Tag-Verschläfer‘ und jetzt gefrühstückt und den Tag mal ordentlich geplant!“

 

Ja, da würde die Mutter aber gucken! Sie würde ihm die Tür aufschließen und sagen: „Pst, nicht so laut! Lass die anderen noch ein bisschen schlafen! Ich werde mich erst einmal  fertig anziehen. Du kannst ja schon mal ein bisschen das Frühstück vorbereiten!“

 

Und er würde dann laut mit den Tassen und Tellern klappern, dass alle schließlich wach würden und bei ihm um die Küchentür guckten und fragten: „Was für ein Krach am frühen Morgen!“ und er würde dann sagen: „He, ihr Schlafmützen! Los, gleich gibt es ein Frühstück! Den halben Tag lang im Bett verschlafen? Nichts da! Los, hopp, hopp, oder muss ich euch erst Beine machen?“

 

Der Kleine Mann malte sich diese Szene so richtig aus, als er abends im Bett lag. Tja, das gäbe einen Spaß morgen früh! Und er wäre der Aufwecker für die ganze Familie. Das wäre ja noch schöner: Den schönen Tag verschlafen! Nein, nein, das käme nicht in Frage.

 

„Hm, wie komme ich aber bloß an die Klingel heran?“, fragte er sich. Vielleicht könnte er ja an der Mauer hochklettern und dann einfach gegen die Fensterscheibe oder gegen die Tür bollern. Aber nur mit den bloßen Händen? Das wäre dann nicht laut genug! Ah, er hatte eine Idee!

 

Er kletterte schnell aus seinem Bett heraus und suchte sich einen Stock. Damit könnte er morgen früh dann gegen die Fensterscheibe schlagen, dass es nur so klirrt. Natürlich nicht so doll, denn die Fensterscheibe dürfte ja nicht kaputtgehen. Nein, er wollte nichts kaputtmachen. Denn hinterher wollte er ja mit der ganzen Familie frühstücken. Und dann den Tag planen!

 

Und dann …, ja, und dann …, was könnte er vorschlagen …, vielleicht …, vielleicht …, hm … viel … und dann … war er eingeschlafen, der Kleine Mann. Auf seinem Gesicht war ein glückliches Lächeln, denn er hatte ja diesen tollen Plan … Morgen früh wäre es soweit … soweit … chrrr … chrrrr! Das kleine, bekannte Geräusch zeigte, dass er richtig fest eingeschlafen war. Wovon würde er wohl träumen …

 

„Aufstehen! Aufstehen, du Langschläfer! Was ist denn bloß los! Es ist schon heller Tag, und du wolltest doch zu deiner kleinen Freundin! Die haben vielleicht schon längst gefrühstückt. Und du verschläfst hier fast den halben Tag!“

 

Der Kleine Mann rieb sich die Augen. Was war hier denn los? Er hatte verschlafen? Dabei wollte er doch die anderen wecken, diese Langschläfer! O, er hatte selber verschlafen! Wie peinlich!

 

Schnell zog er sich an und rannte zu dem Haus der Familie seiner kleinen Freundin. Er pochte an die Tür. Die wurde schnell aufgerissen und seine kleine Freundin sagte: „Na endlich kommst du! Wir haben schon lange auf dich gewartet. Und gefrühstückt haben wir auch schon. Hast du denn schon gefrühstückt?“ Ganz kleinlaut sagte er: „Nein, ich habe verschlafen! Und gefrühstückt habe ich auch noch nicht!“

 

„Na komm schon, wir haben dir noch etwas übrig gelassen. Du kannst jetzt frühstücken. Wir haben nämlich einen Plan beim Frühstücken gefasst: Wir werden heute mit dem Schiff auf dem Fluss fahren! Das wird bestimmt toll! Und du kommst mit! Wärst du später gekommen, dann wären wir längst weg gewesen. Also: Beeile dich, wir fahren bald!“

 

„Nun mal langsam!“, mischte sich da die Mutter ein. „Kleiner Mann, du sollst jetzt erst einmal in Ruhe frühstücken. Wir bereiten schon alles vor, das braucht ein wenig Zeit. Wenn du mit dem Frühstück fertig bist, dann fahren wir los! Und iss  und trinke nicht zu wenig. Vor dem nächsten Mal gibt es nämlich nichts wieder!“

 

„Vor dem nächsten Mal gibt es nichts wieder?“, wunderte sich der Kleine Mann. Das ist ja logisch. Aber wann wäre denn das nächste Mal? Er lachte ein bisschen in sich hinein. Nach all dem Schrecken des späten Aufstehens wollte er jetzt endlich etwas essen. Er hatte einen richtig großen Appetit. Toll, dass die Familie so rücksichtsvoll war mit ihm, dem Langschläfer. Und beim Frühstück erinnerte er sich plötzlich daran, wie er diese Familie eigentlich wecken wollte. „Nein, wie peinlich!“, dachte er, „wie gut, dass sie nicht mitbekommen haben, was ich eigentlich heute früh vorhatte!“

 

Gerade als er den letzten Bissen hinuntergeschluckt und mit einer Tasse Kakao hinuntergespült hatte, kamen die drei Kinder singend in die Essecke und sangen:

Der kleine, kleine Kleine Mann, sich manchmal auch verschlafen kann …

 

Da wurde der Kleine Mann ein bisschen rot vor Verlegenheit und fragte: „Fahren wir jetzt mal langsam los? Es ist schon spät geworden!“

Wie mussten da alle lachen, auch die Eltern, die das mitbekommen hatten.