Der Kleine Mann will etwas über Liliputaner wissen
Eines Tages wollte der Kleine Mann unbedingt wissen, was denn Liliputaner sind. Neulich im Zirkus hatte die große Schwester seiner kleinen Freundin einen kleinwüchsigen Mann so genannt.
Da berichtete die Mutter, dass sie ein Buch gelesen hatte: Gullivers Reisen.
Es handelte von einem Arzt aus England. Der wollte Abenteuer erleben. Deshalb ging er als Schiffsarzt auf ein Handelsschiff, das nach Asien fuhr. Da geriet das Schiff in einen fürchterlichen Sturm. Das Schiff versank und alle Seeleute ertranken. Der einzige Überlebende war Gulliver. Er war auf einem Stück Holz an Land gespült worden und lag ohnmächtig am Strand im Sand.
Als er aufwachte, konnte er sich nicht bewegen. Um ihn herum waren lauter winzig kleine Leute, die ihn mit vielen feinen Stricken festgezurrt hatten.
Das Land hieß Liliput. Deswegen wurden die winzigen Bewohner Liliputaner genannt. Die Geschichte ging noch sehr spannend weiter, aber der Kleine Mann rief: „Das hört sich aber sehr nach einem Märchen an. Wer hat sich das denn ausgedacht? Und ist der Gulliver noch freigekommen?“
„Ja, er hat sich mit den Liliputanern dann noch verstanden. Er musste ihnen aber gehorchen. Einmal ist eine ganze Armee unter seinen Beinen durchmarschiert.
Später ist der Gulliver aber frei gekommen. Weil er aber so abenteuerlustig war, wollte er noch einmal mit dem Schiff weit weg fahren.
Und wieder ging das Schiff unter. Diesmal konnte Gulliver sich mit ein paar anderen Matrosen auf eine Insel retten. Und wisst ihr was? Da waren sie im Land der Riesen gelandet!
Also einmal war Gulliver ein Riese im Land Liliput bei den winzigen Zwergen. Das andere Mal fühlte sich Gulliver selbst wie ein Zwerg gegenüber den gewaltigen und haushohen Riesen.“
„Jetzt hör aber mal auf!“, rief der Kleine Mann. „Solche Geschichten, wo erst mal alle sterben und dann die kleinen Leute noch jemanden gefangen nehmen, der überlebt hat, mag ich nicht!“ Er wollte diese Geschichte nicht mehr weiterhören.
Aber neugierig wie er ist, fragte er, ob er das Buch mal sehen könnte. Leider war das Buch aber nicht mehr da. „Dann wünsche ich mir das zum Geburtstag!“, schlug er vor. Die Geschichte hatte ihn also doch gepackt. Dass er selber klein war und alle anderen Menschen viel größer als er, das kannte er ja.
Dieser Gulliver hatte beides erlebt: Einmal war er wie ein Riese bei den kleinen Liliputanern, ein anderes Mal aber wie ein Zwerg im Land der Riesen. Was für eine komische und interessante Geschichte.
„So, jetzt spielen wir mal Liliput!“, kommandierte er. „Was? Willst du uns fesseln, dass wir uns nicht mehr bewegen können? Das kommt gar nicht in Frage! Ich bin auch nicht dieser Gulliver, oder wie der komische Name ist“, ereiferte sich die kleine Freundin über den Kleinen Mann.
Der hatte sich das so schön ausgedacht: Seine kleine Freundin von ihm gefesselt! Aber das hatte er sich so gedacht! „Du kannst ja vieles“, meinte sie, „aber mich fesseln kommt nicht in Frage!“
Eigentlich wollte er das auch gar nicht. Er war froh, dass er mit seiner kleinen Freundin spielen konnte.
Aber wer weiß? Wenn sie vielleicht einmal im Garten eingeschlafen war, konnte er doch … Eine ganze Rolle Garn hatte er doch bei der Mutter auch schon gesehen ...
Es juckte in ihm der Schabernack. Er konnte sich alles so lebhaft vorstellen, wie seine kleine Freundin zetern würde. Sie würde dann erleben, wozu er fähig war: Sogar ein so großes Mädchen fesseln!
Kleiner Mann, pass auf! Du gehörst doch zu den Kindern! Schlüpfe bloß nicht in eine solche Geschichte hinein. Wenn du das willst, musst du aber erst einmal fast untergehen im wilden Sturm!
O nein, diese Vorstellung jagte ihm gleich schon einen Schrecken über den Rücken.
„Jedenfalls haben manche Leute dann kleinwüchsige Menschen Liliputaner genannt“, erklärte die Mutter weiter. „Aber das Land Liliput ist ein Phantasieland, das es nicht gibt. Und die kleinwüchsigen Menschen sind keine Liliputaner. Man muss diese klein gewachsenen Menschen achten wie jeden anderen Menschen auch.“
Da nickte der Kleine Mann aber sehr heftig mit seinem kleinen Kopf.