Der Kleine Mann soll den Frühling entdecken
Eines Tages sagte die kleine Freundin des Kleinen Manns: „Du, wir können jetzt den Frühling entdecken! Ich meine: Frühlingsanzeiger!“
„Hää?“, murmelte der Kleine Mann nur, „Früh den Linksanzeiger oder den Rechtsanzeiger, meinst du den Blinker beim Auto?“
Jetzt sagte die kleine Freundin tatsächlich auch: „Hää? Frühling meint doch nicht links oder rechts! Das ist eine Jahreszeit, die nach dem Winter kommt!“
„Und wieso früh? Muss man da frühzeitig aufstehen, oder was?“
Der Kleine Mann konnte manchmal richtig nerven mit seinen komischen Fragen und Vorstellungen.
„Also“, begann die kleine Freundin, „wir haben jetzt nicht mehr den Winter, sondern den Frühling. Und dafür gibt es Anzeichen, zum Beispiel wird es manchmal wärmer draußen. Die Zugvögel kommen zurück, viele Vögel fangen an zu singen und die ersten Pflanzen kommen hervor und bilden Knospen für Blätter und Blüten. Die gucken wir uns jetzt an. Wir sind dann Frühlingsentdecker!“
Die Freundin konnte wirklich gut erklären, fand der Kleine Mann.
„Okay, dann werde ich mal losgehen, machst du auch mit?“
Na klar wollte sie mit.
Und so zogen sie los. Erst einmal ging es in den Garten. Als die kleine Freundin gerade den Kleinen Mann fragen wollte, ob er schon etwas vom Frühling entdeckt hätte, war er verschwunden.
Nun ist der Kleine Mann ja ein toller Verstecker,
aber ein Frühlingsentdecker?
Sie schaute sich um. Ja, es blühten schon einige Büsche und sogar auch ein Baum. Aber wo hatte der Schlingel sich bloß versteckt? Sie suchte und suchte, ging langsam die Büsche entlang, aber sie entdeckte nichts.
Als sie gerade an den blühenden Forsythiensträuchern vorbeikam, schrie eine Stimme: „Hiiier! Ich habe den Frühling entdeckt!“
Sie suchte mit ihren Augen den ganzen Strauch ab und da, da schimmerte etwas Rotes mitten in dem Gelb.
Tatsächlich war es der Kleine Mann, der sich einfach zwischen die Sträucher versteckt hatte.
Gerade wollte sie etwas sagen, da war er aber auch schon wieder verschwunden. Wo war er jetzt denn schon wieder? Nun wollte sie aber aufpassen. Das sollte nicht noch einmal passieren!
Sie würde ihn entdecken! Zum Glück hatte er ja eine bunte Kleidung an. Seine Mütze und die Hose waren rot, der Pullover gelb mit blauen Punkten. Gleich würde sie ihn erkennen! Sie rollte mit ihren Augen hin und her. Auch ihr Kopf drehte sich nach links und rechts.
Plötzlich hörte sie direkt über ihrem Kopf: „Kuckuck! Hiiiier! Der Frühling! Der Früüüüühling!“
Ihre Augen wanderten durch die Blüten und Sträucher, und als er schließlich wieder „Hiiiiier!“ rief, erkannte sie ihn endlich.
Zu geschickt war er, der Kleine Mann. Der hatte natürlich eine diebische Freude daran, seine kleine Freundin zu foppen und suchen zu lassen.
„Na warte!“, rief sie, „diesmal erwische ich dich aber ganz schnell!“ Sie hatte das kaum gesagt, da sah sie zwar viele Büsche mit ihren Blüten, aber den Kleinen Mann konnte und konnte sie einfach nicht entdecken!
Sie murmelte leise: „Du versteckst dich immer zwischen die Blüten, ich werde mit meinen Augen alles absuchen und dann ganz schnell „Hab dich gesehen!“ rufen. Der Kleine Mann soll doch nicht immer gewinnen.“
Wieder suchte und suchte und suchte sie.
Aber so sehr sie auch guckte, sie konnte ihn einfach nicht entdecken.
Schließlich trötete er von ganz oben sein: „Hiiiiier! Siehst du mich denn nicht, du kleine Blindschleiche?“ Sie musste den Kopf in den Nacken legen, hielt sich die Hand vor die Augen und blinzelte nach oben. Als er schließlich noch einmal ganz laut „Hiiier! Früüüüühling!“ rief, da entdeckte sie ihn schließlich. Nicht zwischen Blüten, sondern in den Ästen und Zweigen hoch oben. Wie konnte der sich nur so gut tarnen!
Ja, jetzt sah sie ihn auch. Bei dem musste man ja ein Fernrohr haben, um ihn zu entdecken. Aus dem Frühlingsentdeckerspiel war ja inzwischen ein „Kleine-Mann-Sucherei-Spiel“ geworden!
Jetzt hatte sie aber keine Lust mehr, denn der Kleine Mann gewann ja doch jedes Mal. „Ha“, dachte sie, „ich schleiche mich jetzt einfach ins Haus. Dann kann der Kleine Mann sich so lange verstecken und sein „Hiiiiier! Früüüühling!“ so oft rufen wie er will. Ich bin drinnen und mache es mir gemütlich! Dann habe ich ihn hereingelegt!“ Sie lachte verschmitzt in sich hinein. Sie freute sich schon auf sein langes Gesicht, wenn sie ihm diesen Streich spielen würde.
Leise schlich sie sich zur Tür, öffnete sie sacht und schlüpfte in die Küche. Die Mutter war gerade dabei, einen Kakao zu kochen. „Da kommst du genau recht!“, freute die sich. „Ich wollte euch schon rufen, denn wenn der Kakao fertig ist, machen wir es uns gemütlich mit Kakao und unserem leckeren Gebäck. Du weißt schon, mit Vanillepudding drin.“
Die Kleine freute sich natürlich riesig. Und der Kleine Mann, der konnte in seinen Frühlings-Entdecker-Blumen-und–Bäumen „Hiiiiier! Früüüühling!“ rufen, so oft er wollte. Ha, sie legte ihn diesmal herein und hatte es dabei noch so gemütlich! Sie würde ihm hinterher alles erzählen, wie gut sie es gehabt hatten.
Sie setzte sich schließlich an den Tisch, die Kakaokanne wurde hereingebracht, die Gebäckstücke schön aufgeschichtet auf dem Kuchenteller. Erwartungsvoll rutschte die Kleine schon auf ihrem Stuhl herum. Als die Mutter sich gerade setzen wollte, fragte sie: „Wo ist denn der Kleine Mann?“
„Hiiiiier! Hiiiiiier bin ich!“, schrie der so laut, dass die beiden richtig zusammenschraken. Und da sahen sie ihn auch schon. Er hatte sich hier im Zimmer versteckt, mitten in den Blumen im Zimmer!
„Ich warte hier schon die ganze Zeit auf euch, endlich seid ihr soweit. Draußen habe ich den Früüüüühling entdeckt, aber bei euch hier drinnen ist ja Späääääätling!“
Also, dem Kleinen Mann fiel doch immer noch ein Spruch ein. „Dann komm rasch her, damit du nicht auch noch zu spät kommst und wir alles aufgegessen und aufgetrunken haben!“, meinte die Mutter, „Dann bist du der Spätling!“
Die kleine Freundin war erst ein bisschen wütend gewesen, dass der Kleine Mann sie wieder hereingelegt hatte, aber jetzt mussten sie alle doch über den Schabernack lachen. Und während sie genüsslich kauend das leckere Gebäck aßen, summten sie eine bekannte Melodie. Als sie ausgesummt hatten, schluckte der Kleine Mann gerade seinen Bissen Vanillepuddinggebäck hinunter und sang ganz allein „Der kleine, kleine Kleine Mann, den Frühling schon entdecken kann …“ Aber bei dem Dadadadamm trommelte die kleine Freundin lachend und krachend mit den Händen auf den Tisch.