Der Kleine Mann hört ein Märchen
Eines Tages hörte der Kleine Mann ein Märchen. Er kannte schon einige: Die Bremer Stadtmusikanten zum Beispiel. Er hat sich total mitgefreut, dass die Räuber so verjagt wurden. Und die listigen Tiere hatten das richtig gut gemacht.
Jetzt hörte er das Märchen vom Däumling. Da war er natürlich gespannt wie ein Flitzebogen. Das war doch auch ein so kleiner Kerl wie er. Das war bestimmt so richtig ein Märchen für ihn.
Ganz neu für ihn war, dass es sogar mehrere solcher Märchen gibt. Und auch ein ganzes Buch von der berühmtesten Kinderbuch-Schreiberin der Welt: Astrid Lindgren aus Schweden hat das Buch „Nils Karlsson Däumling“ geschrieben.
Jetzt hörten er und seine kleine und große Freundin und der große Bruder das Märchen vom Däumling: Die Eltern hatten gar kein einziges Kind bekommen und wünschten sich doch so sehr wenigstens eins.
Da meinte die Mutter, wenn es auch ein Kind wäre, das nur wie ein Daumen groß würde, wäre sie schon glücklich. Und dann bekamen die Eltern tatsächlich so ein kleines Kind. Es war winzig und wuchs auch gar nicht so groß wie die anderen Kinder. Es wurde einfach „Däumling“ genannt. Und dieser Däumling erlebte so allerhand Märchenhaftes. Er landete sogar in einem Kuhmagen! Bah, wie eklig!
„Das Märchen finde ich überhaupt nicht schön! So was Ekliges möchte ich nicht erleben. Und kannte der denn überhaupt keine Kinder? Nee, so ein Däumling möchte ich nicht sein“, sagte er ein bisschen entrüstet.
„Ach du, das ist doch nur ein Märchen. Und du bist auch etwas ganz anderes. Du gehörst zu uns. Wir erleben alles zusammen. Wir brauchen keine Märchenerzähler, wir erleben alles fantastisch wirklich mit dir. Und wir erzählen und schreiben alles auf, was wir mit dir erleben. Deine Fantasie ist ganz toll, du hast immer neue Ideen. Und wir kriegen dann auch Ideen und die Geschichtenerlebnisse gehen immer weiter. Wir können uns alles so richtig vorstellen. Du bist der Coolste, Kleiner Mann!“ So redeten die Kinder über ihn. Wie gut ihm das tat!
„Ich möchte auch nicht Däumling heißen oder Fingerling oder so etwas. Ich bin der Kleine Mann und das genügt!“ Ja, damit waren alle einverstanden. Niemand wollte sich Geschichten mit dem Kleinen Mann ausdenken, wo er von einer Kuh gefressen wird und sich in einem Kuhmagen wiederfindet. Ekelhaft! Wo würde er dann wohl landen! Nein, der Kleine Mann erlebte alles mit den Kindern und das ist ja wohl tausendmal besser als Märchengeschichten, die ja manchmal auch ein schlimmes Ende nehmen.
Der Kleine Mann er – lebte mit so viel Fantasie so vieles, und die Kinder hatten ihn einfach gern. Sie konnten sich immer sehr gut vorstellen, was er erlebte mit ihnen.
„Komm, wir gehen noch mal zum Bauernhof!“, schlug der große Bruder vor. Ach ja, da gab es ja auch Kühe! O nein, bloß nicht zu nahe herangehen. Der Kleine Mann wollte nicht im Maul eines solchen Tieres enden. Er bekam es ein bisschen mit der Angst zu tun.
Kleiner Mann, das gab es doch nur im Märchen! Keine Kuh will dich fressen. Das sind doch unsere Milchlieferanten! Daran hatte er gar nicht gedacht. Die Milch gab es doch in Flaschen und Milchtüten im Supermarkt. Aber natürlich – die Milch kam ja eigentlich von solch lieben Kühen wie diese hier.
Auf der Weide ging er trotzdem nicht zu dicht an die Kühe heran. Und als gerade eine Kuh in bisschen auf ihn zu trottete, weil sie in seiner Nähe ein paar leckere Grasbüschel entdeckt hatte und sie ausrupfen wollte, ging er rückwärts ein paar Schritte nach hinten. Und was meinst du? Er fiel rücklings in einen – Kuhfladen! Iiiih! Wie eklig! Das hatte er nun davon! Sein ganzer Rücken, das Hemd, die Hose, die Strümpfe, die Schuhe, sogar die Mütze waren dunkelgrün!
Nachdem er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, sprang er auf und schrie: „Schaut her, das ist die neueste Modefarbe. Und dazu passend das Parfüüüüüüm! Der Duft der großen weiten Wiese!“
Wie sie da alle lachten. Es sah ja auch zu putzig aus: Der total verdreckte Kleine Mann tanzte über die Wiese und wisst ihr was? Genauso wie der Kleine Mann Angst vor der Kuh hatte, hatten sie mit einem Mal Angst vor ihm! Sie rissen alle aus, damit der Kleine Mann ihnen nicht zu nahe kam.
So gern sie ihn auch hatten, aber den Kleinen Kuhfladen-Mann in seinem Übermut sollte man nur auf Abstand ansehen, sonst … ja sonst, bekäme man sicherlich etwas von dem wunderbaren Fladen und dem dazu gehörenden Duft ab. Bloß das nicht.
Schließlich ging der Kleine Mann ins Haus, badete gründlich und kam mit frischer Kleidung an den Abendbrottisch. Heute Abend gab es ein Überraschungs-Abendbrot:
Fladen … nein, nicht was du denkst … Fladen...brot mit lauter leckeren Sachen darauf! Da sagte der Kleine Mann: „Ich liebe alle Fladen!“ Da musste die ganze Familie aber lachen und sang miteinander ein Lied:
Der kleine kleine Fladenmann, was der mit Fladen machen kann …